Schwarz, Weiß und feingraue Zwischentöne sind die Farben des Dachauer Zeichners Florian Marschall. Der Dachauer Künstler schafft seine Tuschbilder aus Tausenden übereinandergelegten Strichen in unterschiedlicher Intensität und erfasst in dieser „farblosen“ Kunst das Wesentliche eines Objektes oder Körpers: Plastizität, Stofflichkeit, Licht und Schatten.

Florian Marschall arbeitet bevorzugt in Zyklen, die ihn immer wieder zu neuen thematischen Serien führen.



dachauer nachrichten 7.3.2008


von dr. bärbel schäfer

zwischen erinnerung und vergessen-wollen

dachau - eine stadt zwischen normalität und kz-vergangenheit, ringend mit dem schier unvereinbaren gegensatz von aktiver erinnerung und dem wunsch, am liebsten alles zu vergessen. das ist die botschaft, die florian marschalls in seiner auf den ersten blick so harmlos wirkenden ausstellung vermittelt.

dachau - die vernissage findet am kommenden sonntag ab 16 uhr statt. die ausstellung in der kleinen altstadtgalerie und im cafe gramsci wirkt harmlos, weil nichts plakatives, nichts anklagendes, nichts schauriges in marschalls zeichnungen zu finden ist. und sie ist zunächst auch harmlos, weil porträts von ganz normalen dachauer bürgern gezeigt werden.
florian marschall hat seine familie, hat ehefrau alexandra und sohn louis gezeichnet. er hat stadträte, künstler, freunde und andere mehr oder weniger bekannte personen porträtiert. die profile von oberbürgermeister peter bürgel und von klaus hager, dem 1967 der kaiman emil am karlsfelder see ausgebüchst ist, befinden sich darunter. als einziger ist der kopf vom alten kochwirt biwi in einem passepartout gerahmt.
mit akribischem fleiß hat der zeichner die profile aus tausen kleinen strichen modelliert. er hat genau hingesehen beim portätieren, denn obwohl die personen verfremdet und reduziert sind, sind sie treffend charakterisiert. man erkennt sofort, wer dargestellt ist. durch die unterschiedliche intensität der zeichnung wirken die köpfe plastisch und durch die spannung zwischen fläche und kontur, zwischen schwarz und weiß sind sie sehr reizvoll, wie scherenschnitte.
im zweiten raum hängen bilder, die nach diktaten entstanden sind. je nach sprechrythmus und schnelligkeit hat florian marschall die texte in unterschiedlichen schriftbildern niedergeschrieben. es handelt sich um auszüge von rilke, pablo neruda, ludwig thoma und anderen autoren, zum teil erotischen, politischen und philosophischen inhalts. manchmal versuchte marschall genauso schnell zu schreiben, wie die gedankenfließen, was in einem unleserlichen gekritzel und gekleckse endete. in jedem fall aber entfernt er sich vom geschriebenen wort und seiner ursprünglichen bedeutung hin zu einer ornamentalen ästhetischen wirkung.
im dritten raum hängen 34 gezeichnete nummern, als stellvertreter für die baracken im ehemaligen konzentrationslager. das letzte, große "x" steht für die berüchtigte baracke x, in der sich gaskammer und krematorium befanden.
wo liegt nun die inhaltliche verbindung zwischen den texten, nummern und porträts? sie ist in einem dreispaltigen textausschnitt aus louis köckerts zeitgeschichts-report "dachau... und das gras wächst" zu finden, der sich auf die kz-vergangenheit bezieht.und in einem bild, das die galerie der dachauer beschließt. es handelt sich um eine zeichnung mit drei großen punkten, sonst nichts. die punkte bedeuten, dass die porträtreihe noch nicht zu ende ist und die präsentation im cafe gramsci nebenan weitergeht. die punkte bedeuten aber auch, dass die vergangenheit dachaus noch lange nicht bewältigt ist.